Joubin Rahimi:
Grandios, dass Ihr wieder dabei sei bei einer neuen Folge von insights!, heute mit Kai Hudetz vom Institut für Handelsforschung. Hallo, Kai.
Dr. Kai Hudetz:
Hallo Joubin, grüße Dich! Vielen Dank für die Einladung.
Joubin Rahimi:
Ja, gerne. Welch‘ Glanz in unserer Hütte. Freut mich sehr, dass Du Zeit findest, mit mir über die Zukunft des Handels zu sprechen. Aber bevor wir da einsteigen, vielleicht magst Du zwei, drei Sätze zu Dir und zum IFH und zum ECC erzählen.
Dr. Kai Hudetz:
Ja, Zukunft des Handels, das klingt so spannend, da konnte ich natürlich nicht widerstehen. Warum? Weil wir uns ja mit dem IFH Köln hier genau damit beschäftigen, tagtäglich. Wir machen Forschung und Beratung für den Handel der Zukunft. Wir schauen uns Konsumentenverhalten, Kundenverhalten an, wir analysieren und geben dann datengetriebene Handlungsempfehlungen. Und wir haben mit dem ECC Köln eine Marke, wo wir uns speziell das Thema E-Commerce herausgegriffen haben. 1999 haben wir die ins Leben gerufen, seitdem haben wir, glaube ich, mit dem ECC-Club eine einzigartige Community aufgebaut. Ihr seid ja auch Mitglied mit synaigy bei uns im Club. Es ist eine tolle Community mit Unternehmen, die wirklich nach vorne gehen – toller Austauschplattform, Veranstaltungen, Insights, Studien. Uns sind immer zwei Sachen wichtig, und auf die werden wir wahrscheinlich auch gleich einzahlen, nämlich Impulse setzen und Networking ermöglichen.
Joubin Rahimi:
Ganz sicher. Fürs Erste, Networking, wir sind ja zu zweit heute. Und die Events des Clubs sind immer super gewesen.
Dr. Kai Hudetz:
Oh ja, da sehnen wir uns ja auch alle danach, auch bei uns wird es natürlich wieder Events auf der Fläche geben. Da waren wir jetzt die letzten zwei Jahre quasi ausschließlich digital unterwegs. Ich glaube, jetzt wird es wieder Zeit, dass wir gemeinsam auf einer Bühne stehen.
Joubin Rahimi:
Und das ist ein super Stichpunkt: langsam mal wieder Zeit, gemeinsam auf der Bühne zu stehen. Das heißt, wir sind dann ja physisch beieinander, und das ist natürlich super nach zwei Jahren Abstinenz der persönlichen Kontakte. Seht Ihr das denn in den Zahlen, Ihr seid ja sehr zahlengetrieben, wie sich das verändert, wie sich die Pandemie auf uns auswirkt? Wird es so wie vorher oder wird es ganz anders? Gibt es da schon Tendenzen?
Dr. Kai Hudetz:
Ja, wir sind tatsächlich sehr zahlengetrieben. Wir haben während der Pandemie mit dem Corona Consumer Check ein Instrument etabliert, mit dem wir regelmäßig den Puls messen bei den Konsumenten. Wie fühlen die sich eigentlich? Und was wir sehen, das haben wir jetzt auch fortgesetzt mit dem neuen Trend Check Handel, ist natürlich eine hohe Volatilität. Also es verändert sich doch noch sehr stark, wir kommen ja gefühlt von einer Krise in die nächste. Das macht es natürlich sehr schwer, dann auch nach vorne hin abzuschätzen, wie sich das genau entwickelt. Was wir aber schon mit hundertprozentiger Sicherheit sagen können: es wird nie wieder so, wie es vor der Pandemie war. Also die Hoffnungen all derjenigen, die vielleicht noch glauben, dass der Einzelhandel der Zukunft so funktionieren wird wie der Einzelhandel vor der Pandemie, die müssen wir leider enttäuschen.
Joubin Rahimi:
Der Satz im Hintergrund war, die Expertise verhandelt im digitalen Zeitalter.
Dr. Kai Hudetz:
Absolut, Du kennst ja hier auch unsere Studie, wir schauen hier immer vom Konsumenten her, was sich da verändert. Und die Konsumenten sind ja schon lange digital. Das iPhone ist auch keine neue Erfindung mehr, spätestens mit dem begann es, das Internet dann auch mobil zu machen. Und das hat uns alle geprägt, auch unser Informationsverhalten natürlich, aber zunehmend eben auch unser Kaufverhalten, was sich verschoben hat. Und dann kam noch eine Pandemie ungeahnten Ausmaßes dazu, mit einem Lockdown. Das hätten wir uns ja nie vorstellen können, dass das passiert, dass auf einmal stationäres Geschäft gar nicht mehr aufgesucht werden kann, jetzt abseits der Güter des täglichen Bedarfs. Und wozu das geführt hat, ist halt noch mal eine Beschleunigung in der Entwicklung. Jetzt hat wirklich jeder verstanden, du kannst alles Mögliche im Internet kaufen, von A bis Z. Du bekommst das an die Haustür geliefert, du musst dich gar nicht mehr irgendwo hinbewegen. Die Ware kommt zu dir. Das führt natürlich zu enormen Verschiebungen, weil wir gewöhnen uns natürlich daran. Das ist ein Zeitraum, der jetzt schon gut zwei Jahre andauert, diese Verunsicherung der Konsumenten. Und insofern haben wir uns einfach an diese Online-Optionen gewöhnt. Und stationärer Handel hat sich natürlich auch ein Stück weit angepasst, man denke an das Thema mobiles Bezahlen. Da hat man sich ja teilweise sehr, sehr schwergetan vor der Pandemie. Auf einmal geht es dann doch. Wir sehen jetzt die ersten kassenlosen Märkte, die Handel dann auch neu denken. Und in die Richtung wird's natürlich auch weitergehen.
Joubin Rahimi:
Wen siehst Du denn da als Vorreiter, die den Handel wirklich neu denken?
Dr. Kai Hudetz:
Leider muss man ja sagen, wenn man bei dem letzten Beispiel kassenlose Märkte bleibt, das wäre ja tatsächlich eine Innovation gewesen, die hätte man sich ja von den deutschen Einzelhändlern auch gewünscht. Und tatsächlich kam es von Amazon, einem Branchen-Outsider. Das war schon auch ein bisschen erstaunlich. Wir sind vielleicht mit den großen Händlern gar nicht so wahnsinnig innovativ im internationalen Vergleich. Wir schauen da viel nach UK oder nach US. Aber ich glaube, es gibt viele Mittelständler, die da durchaus innovativ sind, die selbst in Branchen, die schwer unter Beschuss stehen, wie Fashion, es geschafft haben, mit einem richtig coolen Instagram-Auftritt, WhatsApp-Beratung, Videoberatung, entsprechende Online-Terminvereinbarung und so weiter sich da zu positionieren. Ich glaube, einer der größeren Händler, Breuninger, den kann man durchaus schon als großen Mittelständler bezeichnen, der macht viel richtig. Und warum machen sie viel richtig? Technologie ist auch bei Breuninger eben kein Selbstzweck, sondern es geht immer um den Kunden. Es geht immer darum, wie schaffe ich es mit Technologien, echten Mehrwert zu bieten? Nicht so Pseudo-Mehrwert, mit dem ich mich gar nicht differenzieren kann im Wettbewerb, sondern es wirklich konsequent vom Kunden, von der Kundin aus zu denken und dann entsprechend mit Technologie Mehrwerte abzuleiten.
Joubin Rahimi:
Da bin ich von Deutschland auch ein bisschen enttäuscht, dass da so wenig Innovatives ist. Wir haben ein Projekt in Griechenland, die haben sich Decathlon als Vorbild genommen und gesagt, das wollen wir besser machen. Das In-Store und das Digitale miteinander zu verweben. Da gibt es aus meiner Sicht nicht viele in Deutschland, die in die Richtung gehen.
Dr. Kai Hudetz:
Tatsächlich, wenn wir noch weiter diskutieren, dann wäre ich auch auf Decathlon gekommen. Es ist natürlich jetzt leider ein französisches Unternehmen, im Moment auch in der Hall of Shame, deswegen wollte ich das gar nicht unbedingt nennen. Aber das machen die schon wirklich sehr gut, diese Verschmelzung, da sind andere wahrscheinlich weiter als wir. Und ich glaube, das liegt ein Stück weit auch daran, dass der deutsche Einzelhandel wirklich erfolgsverwöhnt ist. Wir haben extrem erfolgreiche Händler gehabt, das beste Beispiel ist Mediamarkt und Saturn, die den Consumer Electronics Handel in ganz Europa letztlich überrollt und in vielen Fällen sich dann zu lange auf ihrem Erfolg ausgeruht und nicht in letzter Konsequenz verstanden haben, was passiert denn da draußen eigentlich? Und die Veränderungen dann gescheut haben. Die Veränderungen sind natürlich schmerzhaft, das ist viel Aufwand, der betrieben werden muss. Es kostet auch ein bisschen Geld. Ich muss mein Mindset auch umstellen. Ich muss mich von liebgewonnenen Traditionen hier und da dann auch trennen. Und das machen leider viele Unternehmen weniger aus der Chance heraus, das ist zumindest unsere Beobachtung, sondern dann häufig, wenn sie es halt müssen. Wenn man dann Marktanteile schon verliert, wenn man sieht, der Gewinn geht zurück. Und dann ist es vielleicht auch schon ein bisschen spät für innovative Lösungen. Dann muss ich hinter der Musik schon herrennen.
Joubin Rahimi:
Bezüglich Marktanteile bei Amazon, habt Ihr schon Zahlen, wie viel Online-Umsatz die prozentual im letzten Jahr gemacht haben?
Dr. Kai Hudetz:
Vom letzten Jahr haben wir die tatsächlich noch nicht, da warte ich auf die Auswertung mehr oder minder stündlich. Im Vorjahr, im Jahr 2020, haben sie ja fünf Prozent an Marktanteil gewonnen. Fünf Prozent, das ist schon ein Wahnsinn, von 48 auf 53 Prozent. Und hier ist natürlich vor allen Dingen der Marketplace als Treiber zu sehen, wenn wir sehen, dass deutlich mehr als zwei Drittel des gesamten Onlinewachstums bei Amazon auf den B2C-Bereich fällt, das werden wir auch in den Zahlen vom letzten Jahr sehen. Dann ist das schon ein Wahnsinn und zeigt eben auch, dass du nur mit einem extrem hohen Professionalisierungsgrad überhaupt eine Chance hast. Weil für jeden unserer Kunden, egal aus welchem Bereich er kommt, ist immer die Frage, wie kann ich mich im Vergleich zu Amazon differenzieren? Was kann ich, was Amazon eben nicht kann? Und das sind ja ganz unterschiedliche Dinge, das kann das Thema Service sein, das kann das Thema Cross Channel sein, das kann die Kuratierung des Angebots sein, das kann die Marke sein. Aber ich muss mich irgendwie differenzieren, sonst bin ich in einem preislichen Wettbewerb. Die letzte Zahl, die ich gehört habe, es waren über 700 Millionen Produkte auf der Plattform drauf, also da gibt es für alles Wettbewerb.
Joubin Rahimi:
Unser Zweck ist ja, dass wir sagen, wir glauben an die Vielfalt in allen Belangen, also auch im Handel. Und wir halten jedem auch gerne mal einen Spiegel vor. Stell dir vor, du gehst in die Innenstadt und 52 Prozent des Einzelhandels wäre ein Laden – die Schildergasse in Köln wäre zur Hälfte Amazon. Das wäre schrecklich.
Dr. Kai Hudetz:
Ja, es wäre ja ein bisschen jetzt, was wir sehen, natürlich abgemildert. Das ist ja vielleicht so ein bisschen Shop in Shop, wenn man das dann auch hier sieht. Es war ja mal die große Sorge vor vielen Jahren, dass man sagt, im Marketplace werden die Händler eigentlich ausgeschaltet, Amazon macht das Eigengeschäft. Was man sieht, dieses Plattformgeschäft ist ja für Amazon viel spannender. Es ist viel schöner, wenn du sagst, du bist eigentlich die Plattform. Aber die Plattform ist halt diejenige, die den Kundenzugang hat. Am Ende des Tages ist es so, als hängt über der Hälfte der Schildergasse das große A, und du kaufst dann am Ende des Tages gefühlt bei dem großen A. Ob da drin andere Händler sind, die irgendetwas verkaufen, das kommt ja beim Kunden häufig gar nicht an. Und da sehen wir schon auch eine Gefahr, weil das auf das große Thema Bequemlichkeit geht. Es ist für den Kunden so unheimlich einfach zu sagen, bei Amazon gibt es halt alles, da finde ich irgendwie das Produkt. Jetzt brauche ich ein Podcast-Mikro, zack, gehe ich da drauf. Und ich brauche auch noch ein Ladekabel, zack. Alles kriegst du da an der Stelle, das macht es für den Kunden natürlich unglaublich einfach. Und deswegen werde ich versuchen müssen, Amazon auf anderen Ebenen Paroli zu bieten, wo sie halt nicht so stark sind. Ich glaube, das Thema Kuratierung ist eine Riesenchance, weil wenn du etwas Spezielles suchst, ist es ziemlich schwer, das dann auch zu finden in dieser Fülle. Einen gut kuratierten Händler, den ich noch genannt hätte, ist das Musikhaus Thomann. Die machen das sensationell gut, in der Kategorie, die so zu entwickeln, emotional aufzuladen, Services daran zu packen. Warum sollte ich, wenn ich jetzt Profi bin, für diese Art von Produkten bei Amazon gucken? Da gehe ich doch lieber direkt zu Thomann.
Joubin Rahimi:
Wir haben beispielsweise bei uns in der Firma gesagt, nicht mehr bei Amazon einkaufen, sofern das geht. Und das geht eigentlich immer. Wir haben auch das Mikrofon hier bei Thomann gekauft, oder kaufen bei Music Store. Also bewusst bei den Geschäften, egal ob online oder offline, die sich Mühe geben. Aber es ist dann eine aktive Entscheidung, weil Amazon macht ja Sachen gut, deswegen klappt das ja auch. Aber das wollen wir nicht noch weiter befeuern. Aber ich habe eine Frage an Dich, wenn Du sagst, die Händler fragen Euch, was ist dann so mein Differenzierungsmerkmal, oder wie können wir es herausarbeiten? Es scheitert aus meiner Sicht ganz häufig schon an den Hygiene-Faktoren, dass es halt simpel und trivial ist. Wo ich dann manchmal denke, ihr habt einen Warenkorb, den befülle ich, will es aber erst am nächsten Tag kaufen, weil ich es meiner Frau zeigen will – zack, weg bin ich. Dann bin ich genauso zack weg. Das verstehe ich nicht, dass es dann an so etwas scheitert, auch bei den Großen.
Dr. Kai Hudetz:
Ja, absolut richtig. Du kennst ja vielleicht unsere Erfolgsfaktoren-Studie. Da haben wir ja genau das gesehen, Kunden verzeihen einfach keine Fehler mehr. Du bietest nicht das richtige Zahlungsverfahren? Raus! Eine Erfahrung, wie Du eben gemacht hast, die machst Du halt normalerweise kein zweites Mal, weil Dir das zu mühselig ist. Ihr habt eure Chance gehabt, fertig. Wir sehen, dass Onlinehandel von vielen auch auf einem echt starken Niveau gespielt wird. Und wenn du da nicht mithalten kannst, die Kunden sind inzwischen so anspruchsvoll, die verzeihen dir diese Fehler nicht. Du musst das bieten, aber das reicht nicht aus, weil das ist eben das, wo Amazon dann doch sehr, sehr stark ist. Das sind ja Hygiene-Faktoren. Du musst auch an die Emotionen irgendwo ran, dass du die richtigen Services dann damit verknüpft, das bietet, glaube ich, auch viel Potenzial. Du kannst alles machen, aber wenn du die Hygiene-Faktoren nicht erfüllst, bist du raus.
Joubin Rahimi:
Ihr habt ja die Erfolgsfaktoren-Studie rausgebracht, und das nicht zum ersten Mal, glaube ich, sondern zum fünften oder sechsten Mal.
Dr. Kai Hudetz:
Wir haben sie, glaube ich, noch häufiger rausgebracht. Im Rückspiegel verschwimmen die Editions dann durchaus ein bisschen. Und da haben wir Amazon jedes Jahr bei den Top 100 Onlineshops immer unter den Top 3. Die schaffen das, aber das Musikhaus Thomann hat noch häufiger gewonnen, das heißt, man hat seine Chance sich zu behaupten. Auch ZOOPLUS hat hier einen super Job gemacht. Auch die waren in den letzten Jahren immer unter den Top 3, die haben wirklich an diesen Faktoren gefeilt und getüftelt und dann wird an jedem Schräubchen gedreht. Das weißt Du ja besser als ich, inzwischen brauchst du die absoluten Spezialisten, braucht es natürlich die richtige Software. Und du musst vor allen Dingen permanent Gas geben. Stationärer Handel ist so ein bisschen wie Radfahren, du hörst auf zu treten und wirst noch eine Weile weiterrollen. E-Commerce ist wie Rudern, und zwar gegen den Strom. Du hörst auf zu rudern und du gehst sofort zurück. Das ist das, was wir immer in den Zahlen gesehen haben: Wenn du die Anstrengung nachlässt, aber die anderen rudern weiter, dann bist du sofort im Rückstand. Und wenn du mal im Rückstand bist und das dann gegen den Strom wieder aufholen musst, das ist anstrengend.
Joubin Rahimi:
Keine Frage. Gibt es denn so zwei, drei Tipps aus der Erfolgsfaktoren-Studie, wo Du sagst, die können wir unseren Zuhörern direkt mal als Insights mitgeben? Neben dem Link, wo man sie von Euch bekommen kann.
Dr. Kai Hudetz:
Ja, ich versuche es mal mit zwei, drei Sätzen. Wir machen ja viel Research, auch für Unternehmen, Customer Journey-Analysen. Und da beginnt es schon: Für uns beginnt jedes Vorhaben mit der Frage, was wisst ihr eigentlich über den Kunden? Und wenn du halt nichts über den Kunden weißt, dann kannst du auch nicht kundenzentriert arbeiten. Das ist ganz einfach. Alle sagen, ja, wir arbeiten kundenzentriert und der Kunde ist immer im Fokus, früher hat man noch dazu gesagt, und damit immer im Weg. Das sagt man jetzt erfreulicherweise nicht mehr so. Aber trotzdem ist in vielen Fällen viel zu wenig Wissen da über den Kunden. Ich muss erst mal schauen, was weiß ich überhaupt über meine Kunden, über meine aktuellen Kunden und über die, die meine Kunden werden sollen. Weil in vielen Fällen geht es auch darum, ob man nicht online vielleicht sogar neue Kundengruppen erschließen kann. Ich glaube, das ist das Erste, hier wirklich ran an die Kunden, ich brauche Daten, quantitativ. Das Thema Kundenkarten ist natürlich ein immer wichtigeres geworden, inzwischen werden die ja digital abgebildet, du hast nicht mehr das Problem wie früher, dass der Geldbeutel nicht beliebig dick gemacht werden kann. Und dann sammelst du Daten und schaust dir das an. Ich glaube, sprechen mit Kunden macht immer Sinn, Kundenbeirat, regelmäßig Fokusgruppen, um im Austausch mit den Kunden zu sein, um wirklich mal zu verstehen, was passiert da eigentlich. Ist superspannend. Ich habe auch schon selber mit Kunden hinter der Glasscheibe gestanden, wenn dann deren Kunden über sie sprechen, und dem einen oder anderen entgleiten dann schon mal die Gesichtszüge. Natürlich, bei einer Geschäftsführung kommen dann Informationen immer gefiltert an. Wenn du dich darauf verlässt, was sagen denn meine Mitarbeiter über den Kunden, dann werden die im Normalfall eben sagen, dass es super ist. Ist aber nicht bei jedem Unternehmen leider Gottes dann auch der Fall. Also wirklich aktives Zuhören ist der eine Punkt. Der zweite Punkt ist, Services machen in vielen Fällen den Unterschied aus. Die Services sehr konsequent von den Kunden aus entwickeln und sagen, was sind wirklich Services, die unsere Kunden goutieren und so toll finden, dass sie vielleicht sogar bereit sind, dafür zu bezahlen? Das muss ja nicht dann direkt sein. Das erfolgreichste Programm auch an der Stelle, muss man wirklich sagen, ist halt wieder Amazon Prime. Die Kunden nutzen einfach die Services. Aber ich möchte ja am Ende des Tages auch noch Geld verdienen, und über das Produkt werde ich immer weniger Geld verdienen können. Also muss ich schon schauen, was sind Services, die wirklich differenzieren? Und da kann ich dann auch direkt oder indirekt schauen, dass ich damit dann auch Geld verdiene. Ich glaube, das ist noch ein ganz, ganz wichtiger Punkt. Der dritte Punkt ist, mach es mit Profis. Früher konntest du noch mit handgestrickten Lösungen Erfolg haben. Aber inzwischen kämpfst du gegen riesige Abteilungen, die alle Schräubchen drehen und genau wissen, was sie machen. Da hast du mit einem plumpen Schraubenschlüssel keine Chance. Also, du musst wirklich mit Profis agieren. Dazu dient ja auch unser ECC-Club, dass wir sagen, wir haben die Profis bei uns drin. Wir haben diejenigen, die dann auch den Unternehmen weiterhelfen können. Das Bild ist oft bemüht worden, aber es ist trotzdem nicht falsch, es ist einfach ein Haifischbecken.
Joubin Rahimi:
Das haben wir auch festgestellt bei Kunden, die auf einmal sehr erfolgreich waren, am Tag zunächst 2000 Kunden hatten und jetzt auf einmal 50 000 in einer Sekunde. Das muss man auch erst mal verarbeiten können, das System muss stehen. Das ist schon spannend. Da hat uns ein Kunde mal gesagt, vorher hatten wir dann halt jemanden, die haben auf gut Glück versucht das zu machen und Kollegen gefragt, ob die da Ahnung haben. Aber das ist ja mittlerweile eine andere Welt geworden.
Dr. Kai Hudetz:
Ich muss noch einen vierten Punkt nachschieben, Joubin, was ich eben schon thematisiert hatte. Ich glaube, das ist ein großes Problem: verlass dich nicht auf den Erfolg von heute! Du musst frühzeitig diese Entwicklungen antizipieren, die kommen. Ansonsten wird das nur immer teurer, immer schwerer. Und wir sehen den wirklich harten Kampf von Mediamarkt und Saturn, die jetzt wirklich vieles richtig machen, viele Ideen entwickeln, sich aber natürlich trotzdem schwertun, weil da einfach die Entwicklung sehr, sehr weit fortgeschritten ist. Also, sich unbedingt frühzeitig um diese Sachen kümmern. Und vor allen Dingen, das wäre dann Punkt fünf, wirklich bewährte Mechanismen von gestern einfach in Frage stellen. Diesen Spruch, das haben wir noch nie gemacht, der führt im Normalfall eben tatsächlich ins Verderben, wenn ich den beherzige. Weil es geht um neue Wege zum Kunden. Und da ist ja die Weisheit, das wäre dann noch Nummer sechs, der Köder muss dem Fisch schmecken. Wie er dem Angler schmeckt, ist völlig wurscht. Aber ich gehe mal davon aus, auch Du erlebst das in der Diskussion über Social Media-Kanäle, da wird dann TikTok kleingeredet. Warum? Von Leuten, die teilweise ja noch älter sind als ich und es einfach nicht verstehen, was da passiert und denen dieser Köder halt nicht schmeckt. Aber ihre Zielgruppe findet ihn halt nahrhaft. Und deswegen da wirklich auch dieses konsequente neu Denken, Überdenken, Vom-Kunden-her-Denken.
Joubin Rahimi:
Vor rund zehn Jahren hattet Ihr eine Bühne auf der Messe EuroCIS. Und da durfte ich einen Vortrag halten, und da war mir gar nicht bewusst, was da Sinnvolles unter anderem rauskam: Die Menschen, die Person ist quasi die neue Marke. Jetzt mit TikTok, wo Du es gerade anspricht, umso mehr.
Dr. Kai Hudetz:
Ja, absolut. Bewundernswert, Du hast wirklich ein extrem gutes Gedächtnis, genauso war es, tatsächlich. Und ja, das ist natürlich auch ein bisschen das Influencer-Thema. Wir sehen, ohne den richtigen Influencer kannst du heute im Fashion-Bereich keinen Blumentopf mehr gewinnen. Und das kannst du auf viele Kategorien inzwischen ausdehnen. Ich habe das letztens auch im B2B mit einem Stahlhändler diskutiert. Da habe ich scherzhaft gesagt, ihr habt ja bestimmt auch so ein Mister Stahl als Influencer. Und da sagt er, ja. Also auch hier in der Tat. Ich habe es oft auch betont in Diskussionen, und da stehe ich auch jetzt voll dahinter: Im digitalen Zeitalter wird der Faktor Mensch nicht unwichtiger, sondern wichtiger. Der einzelne Mensch. Auch die Anforderungen auf der Fläche sind natürlich jetzt viel größer geworden. Du hast halt Leute, die sind superinformiert, haben ein hohes Anspruchsniveau und die kannst du nur noch über echte Empathie abholen. Also überall, Menschen machen dann doch am Ende des Tages den Unterschied, egal ob sie jetzt in leitender Funktion im Onlinehandel sind, egal ob Sie im Callcenter sind, ob sie dann auf der Fläche sind. Der Faktor Mensch wird wichtiger.
Joubin Rahimi:
Du sprichst etwas an, das ich eigentlich als Frage formulieren wollte. Nehmen wir mal Thomann oder auch den Music Store hier in Köln. Wenn ich dort reingehe, in den Music Store beispielsweise, dann habe ich da die Liebhaber. Wenn ich da in den Lichtbereich reingehe, habe ich Leute, die kennen sich wirklich damit aus. Und das ist ja super, weil da kann ich mich austauschen und gehe da raus und kaufe entweder direkt oder im Nachgang auf jeden Fall dort, weil ich ja ein tolles Erlebnis bekommen habe. Wenn ich mir jetzt viele andere auch erfolgreiche Ketten ansehe, im Fashion-Handel, da bin ich auch schon mal im Laden gestanden und wurde kaum bedient, weil da war eine Person. Bist Du alleine? Ja, wir sind halt alleine. Betrifft aber nicht nur Ernsting, auch bei Gerry Weber hatte ich solche ähnlichen Elemente. Das ist schade. Vielleicht funktioniert es jetzt noch ganz gut, ich nenne es mal Bad Profit, weil man dann den letzten Cent rausholt, die Gegenwelle, wie Du es genannt hast, die spürt man vielleicht noch nicht in den Zahlen. Aber wenn die kommt, kommen die Leute halt nicht wieder.
Dr. Kai Hudetz:
Absolut. Solange wir immer noch über Personalkosten sprechen und über Personalkostenreduktion und nicht über Personalinvestitionen, solange wird das nicht funktionieren. Wenn wir sehen, wer angegriffen beziehungsweise überrollt wird, dann sind es genau diejenigen, die eben nicht den Faktor Personal dagegenstellen können. Man hat ja auch spätestens seit den Siebzigern doch massiv Personal durch Fläche ersetzt – immer größere Flächen, weniger Personal. Ich sage mal, Sachen raussuchen kann ich mir halt selber. Das ist nicht das Thema. Ich brauche jemand, wie beim Music Store, der mich dann erst mal wahrnimmt, der mit mir ins Gespräch kommt, der mir Tipps gibt, der mich berät, der vielleicht als Problemlöser dann auch fungiert. Dieser Spruch dann, ich kann es Ihnen bestellen ... bestellen kann ich es selber, dafür brauche ich heutzutage niemanden mehr. Und das ist schon richtig, da muss sich der Handel auch die Frage gefallen lassen, ob er sich da in den letzten Jahrzehnten ein Stück weit sein eigenes Grab auch geschaufelt hat. So toll diese Konzepte ja dann auch sind, und Ernsting ist ja eigentlich ein richtig klar designtes und auch kundenorientiertes Konzept, aber es ist natürlich eher im Discountbereich angesehen, eher dann eben auf Kosten getrimmt, und das wird dann immer schwieriger mit Kundinnen und Kunden, die ja auch im Niedrigpreissegment und Einstiegssegment durchaus Ansprüche haben.
Joubin Rahimi:
Auch Aldi, die machen die ganzen Läden neu und hübsch.
Dr. Kai Hudetz:
Genau, man sieht es tatsächlich am besten im Lebensmittelhandel, bei den Discountern. In meiner unerfreulich weit zurückliegenden Jugendzeit war das ja die Höchststrafe, wenn ich am Wochenende zum Pfannkuch einkaufen gehen musste. Den Pfannkuch gibt es natürlich schon lange nicht mehr, dann wurde es ein Spar, den gibt's auch schon lange nicht mehr. Jetzt ist es wahrscheinlich ein Edeka oder Rewe geworden. Aber das waren ja Läden, die waren vom Sortiment her, von der Ladengestaltung, von den Schlangen an den Kassen furchtbar. Und wenn man sich jetzt anschaut, wie auch in den Discountern Waren präsentiert werden, wie die Sortimente dastehen, wie gut dann auch die Checkout-Prozesse funktionieren, das Parkplatzangebot und so weiter und so fort, dann glaube ich, da hat sich echt viel getan. Das ist halt der Handel, und da sehen wir, was Wettbewerb eben ausmacht. Wir haben gerade im LEH natürlich einen echt intensiven Wettbewerb, und das zwingt die Händler, sich weiterzuentwickeln, besser zu werden. Und ich sage mal, für uns toll, jetzt ist es nicht mehr so schlimm, wenn man am Wochenende noch einkaufen geht, manche sehnen das ja sogar direkt herbei. Da hat sich schon eine ganze Menge getan.
Joubin Rahimi:
Wir haben jetzt aus den drei Sachen, glaube ich, sieben oder acht herausgearbeitet in dem Zuge. Ich verweise aber noch mal auf die Studien von Euch, die verlinken wir in den Kommentarfeldern unten, das ist immer total lesenswert. Auch der ECC-Club ist eine super Bereicherung, das ist das Networking, das Du angesprochen hast. Kann ich nur wärmstens empfehlen. Und für die paar tausend Euro, die es im Jahr sind, bekommt man so viel mehr zurück, so viele Tipps von Leuten, die es machen.
Dr. Kai Hudetz:
Das ist schön, dass Du es so wahrnimmst. Dankeschön, weil Du bist ja auch wirklich ein starker Kenner der Szene. Das sind ja als Premium mit dem ECC-Club nur 1200 Euro. Und da eine Studie bei uns in der entsprechenden Qualität eben auch schon an die tausend Euro kostet, rechnet sich das betriebswirtschaftlich sehr schön. Das soll sich aber vor allen Dingen für diejenigen lohnen, die wirklich nach vorne gehen wollen. Studien sind immer gut, aber du musst Studien eben dann auch mit Expertenwissen verknüpfen. Und da kommt eben dann der Club, da entfaltet der seine volle Power, weil wir Leute zusammenbringen, die den Bedarf haben mit denen, die es können. Und diesen Austausch nach vorne bringen, finde ich selber auch unglaublich bereichernd. Dieser Club ist tatsächlich gerne diese 30 Sekunden Werbung, die Du mir eingeräumt hast, das ist wirklich ein Herzensanliegen. Dass wir insgesamt mit dem Standort Deutschland, auch mit den Unternehmen einfach etwas schneller werden, dass wir besser werden, dass wir kundenzentrierter werden. Ich finde, einige Unternehmen, gerade kleine, haben sich auch in der Pandemie sehr gut geschlagen. Du hast die Vorteile gesehen im Vergleich zu Filialsystemen, die halt schwerfälliger zu steuern sind, dass das durchaus auch eine Chance ist und den einen oder anderen gezwungen hat, einfach wieder kundenzentrierter zu werden und sich Gedanken zu machen, wie komme ich denn eigentlich an meine Kunden ran? Und sie haben wahrscheinlich auch gemerkt, es ist irgendwie blöd, wenn ich nichts über den Kunden weiß, wenn er nicht so automatisch in den Laden kommt. Wie komme ich da jetzt dran? Und so schließt sich dann vielleicht auch der Kreis.
Joubin Rahimi:
Herzlichen Dank, Kai, für Deine Zeit! Gerne noch mal der Aufruf an alle, die Kommentarfeld zu fluten mit Fragen. Wir sichten das Ganze und geben dann Antworten oder leiten sie entsprechend weiter.
Dr. Kai Hudetz:
Ja, ich würde mich sehr freuen. Vielen Dank für die Einladung, es war mir ein Fest!