Joubin Rahimi:
Grandios, dass Du bei der neuen Insights-Folge wieder dabei bist. Mein Name ist Joubin Rahimi und heute zu Gast, Katja Moritz. Hi, Katja. Magst Du ein, zwei Sätze zu Dir erzählen?
Katja Moritz:
Sehr gerne. Hallo zusammen, ich bin Katja. Ich bin User Experience Managerin bei brytes, das heißt, zusammen mit meinen Kollegen schaue ich mir die Shops unserer Kunden an, und wir verbessern diese Shops.
Joubin Rahimi:
Super, danke. Insofern bist Du quasi immer in der Materie drin, wie Menschen ticken. Heute haben wir das Thema Information. Wie gehen wir mit Informationen um? Wie arbeiten wir damit? Das ist ja hochspannend. Was fällt erst mal unter Information?
Katja Moritz:
Quasi alles, was du irgendwie aufnehmen kannst. Alles, was du siehst, was du hörst, was du spürst, was du fühlst. Wir sind täglich mit Millionen von Informationen konfrontiert und müssen diese erst mal verarbeiten. Und das braucht Energie und Zeit und Kraft. Und deswegen fällt es uns in manchen Fällen vielleicht ein bisschen einfacher, Informationen zu verarbeiten, in manchen Fällen etwas schwerer. Und da gibt es bestimmte Prinzipien, die dahinter stehen und genau begründen, warum es entweder der eine oder der andere Fall ist.
Joubin Rahimi:
Sprich, wenn die Zuschauer uns anschauen, geht es nicht nur um das, was sie hören und sehen, sondern auch um all die Ablenkung drumherum. Also, wenn Du sprichst und ich herumzappele, bekommt das der Zuseher ja genauso mit. Ist das diese gesamte Summe an Informationen, die Du meinst?
Katja Moritz:
Genau. Wir sehen erst mal, dass wir hier sitzen. Wir sehen und hören, dass wir uns unterhalten. Wir nehmen das Gehörte auf, müssen das Ganze verarbeiten und dann eben auch für uns interpretieren und deuten, was fangen wir denn mit dieser Information jetzt überhaupt an?
Joubin Rahimi:
Da haben wir immer zu viele Informationen, oder?
Katja Moritz:
Tendenziell ist es meistens so, dass es sehr, sehr viele Informationen zu verarbeiten gibt, ja.
Joubin Rahimi:
Nehmen wir mal wieder das Beispiel mit dem Fahrrad, Ihr wisst ja, ich liebe Fahrradfahren. Bei Components beispielsweise gibt es ja tausende von ähnlichen Artikeln und Produkten. Wie geht mein Hirn mit dieser Vielfalt um?
Katja Moritz:
Das kommt so ein bisschen darauf an, in welcher Phase du dich befindest. Wenn du in einen Shop gehst und dich über Fahrräder informierst, ist es sehr wahrscheinlich der Fall, dass du ein Produkt kaufen möchtest, das irgendwie einen Fahrradbezug hat. Das heißt, du musst für dich erst mal klar haben, will ich mich gerade informieren, mir bestimmte Produkte ansehen oder habe ich mich schon auf ein bestimmtes festgelegt? Und wenn du dich informieren möchtest, gibt es da ganz viel zu beachten. Passt das gesuchte Produkt zu dem Problem, das ich gerade eigentlich habe? Wenn ja, wo finde ich das denn genau? Ist es sofort auf der Startseite abgebildet oder muss ich mich durch Kategorien klicken? Erst mal den Aufbau der Seite verstehen, wenn man vielleicht noch nicht in dem Shop war. Und da gibt es ganz, ganz viele kleine Sachen, die im Hintergrund in unseren kognitiven Prozessen ablaufen. Gerade wenn du schon mal auf dem Shop warst, du kennst dich aus. Es wirkt vielleicht vertraut, weil du es einfach schon ein paar Mal gesehen hast. Da gibt es verschiedene Systeme, die im Hintergrund arbeiten.
Joubin Rahimi:
Und auf eines dieser Systeme will ich hinaus. Ich habe ja mal Schach gespielt, und da haben wir halt auch so Matt-Bilder auswendig gelernt. Und zwar aus folgendem Grund: Wenn wir irgendetwas Ähnliches wieder sehen, dass wir das sofort wiedererkennen. Da kann ich mir vorstellen, ist ein System dahinter. Ist das ein Teil des Systems, wie unser Hirn funktioniert? Oder haben wir unser Hirn quasi mit Sachen trainiert, wie wir nicht ticken?
Katja Moritz:
Es gibt im Grunde zwei Systeme, aus denen das Gehirn klassischerweise besteht. Das eine System ist das, was Prozesse verarbeitet, die unterbewusst stattfinden. Das sind ganz, ganz viele kleine Entscheidungen, die wir vielleicht auch täglich treffen. Wenn ich einen Kaffee trinken möchte und zu Hause einen Vollautomaten habe, dann drücke ich auf den Knopf, aber ich überlege nicht jedes Mal wieder neu, auf welchen Knopf muss ich drücken? Könnte das der richtige, der falsche sein? Das ist einfach irgendwie drin. Das ist dieses erste System, was so das schnelle Denken abbildet. Das zweite System ist dann eher für komplexere Prozesse. Beispiel: Du möchtest dir eine Küche kaufen, da musst du sehr, sehr viele Entscheidungen treffen, musst Abwägungen machen. Ist mir jetzt die eine Schublade wichtiger oder doch der eine Schrank? Möchte ich da lieber die hochwertige Marke oder doch eher am Preis mich orientieren? Das sind alles Entscheidungen, die man treffen muss und dafür braucht man Informationen. Und genau wie Du sagst, wenn du Sachen öfter siehst, das kann ein Shop sein, ein Produkt sein, eine bestimmte Person sein, dann steigt die Vertrautheit, weil wir diese Informationen nicht mehr aufs Neue verarbeiten müssen. Wenn wir neue Informationen aufnehmen, ist es erst mal anstrengend und man hat kognitive Prozesse, die laufen. Wenn man diese Informationen aber dann irgendwann später wiedererkennt, weiß unser Gehirn sofort, ich muss mich nicht mehr neu damit orientieren, ich kenne das schon. Das heißt, ich brauche weniger Aufwand, um das zu verarbeiten. Und weil wir grundsätzlich faul sind als Menschen, versuchen unsere Gehirne, möglichst wenig Aufwand zu betreiben. Das heißt, es kommt uns vertraut vor, wir fühlen uns etwas wohler, und genau das ist auch der Effekt, der dahintersteht. Das nennt sich Mere Exposure Effect, den gibt es sowohl in der Offline-Welt als auch eben im digitalen Handel.
Joubin Rahimi:
Da hat ein Händler ja voll das Dilemma. Man sagt zum einen, möglichst viele Produkte, dann habe ich einen Overload an Auswahl und Möglichkeiten. Und auf der anderen Seite macht mir diese riesige Auswahl das Einkaufen schwer.
Katja Moritz:
Das kann so sein, muss aber nicht unbedingt so sein. Das ist wieder sehr abhängig vom Anwendungsfall. Wenn du Produkte hast, die regelmäßig gekauft werden, dann kann dir das vielleicht sogar in die Karten spielen. Das kann sich natürlich auch auf bestimmte Darstellungsformen beziehen. Wenn quasi jeder Shop, den man so kennt, seine Filter immer ganz oben hat, und du setzt sie als Einziger nach unten, dann brauchen Menschen wahrscheinlich etwas länger, um sich zu orientieren. Weil es einfach abweicht von bekannten Verhaltensmustern, die man sonst von sich selber auch kennt.
Joubin Rahimi:
Da gibt es eigentlich schon eine Amazon Usability, oder? Ich würde nicht sagen, die ist gut, aber die ist gelernt. Ist das ein Effekt, den man so sieht, dass man sagt, mach das wie Amazon? Oder kann man es besser machen als Amazon?
Katja Moritz:
Vielleicht kann man es auch besser machen. Aber grundsätzlich ist es so, dass man sagen kann, es ist auf jeden Fall einfacher, sich zu orientieren, wenn man das von woanders her kennt. Ob das Amazon ist oder ob das 10 000 andere Shops sind, die man kennt, ist dabei ja erst mal unerheblich.
Joubin Rahimi:
Das nehme ich erst mal mit, danke dafür. Und die Variante des Zusammendampfens an Information, ist das eine Option, an der man arbeiten kann? Ich habe jetzt ganz viele Informationen, die kann ich rausgeben, und SEO-technisch ist alles raus. Gibt es da Momente, wo Du sagst, es macht auch Sinn, das vielleicht mal zusammenzudampfen und nicht alles zu zeigen? Oder ist das nie der Fall?
Katja Moritz:
Nein, das ist auf jeden Fall in manchen Situationen sinnvoll. Stell dir vor, du möchtest ein Paar Schuhe kaufen und du bist in einem Shop, da gibt es 15 000 Schuhe. Und du hast eine Produktseite, wo verschiedene Produkte dargestellt werden, also eine Produktlistenseite, und du hast 15 000 Produkte, dann ist es einfach mehr, als man verarbeiten kann. Man klickt sich nicht durch alle Seiten durch. Das heißt, in so einem Fall könnte man vielleicht eher darauf hinweisen, nutze doch mal die Filter und blende alle Produkte aus, die quasi nicht für dich infrage kommen – auf Basis von Preis, Größe, Farbe, was auch immer dir da gerade wichtig ist. Das heißt, du kannst diesen Informationsüberfluss erst mal verringern, um dem Kunden diesen Fokus zu ermöglichen, damit er seine Aufmerksamkeit auch wirklich auf wenige Produkte lenken kann.
Joubin Rahimi:
Und das ist sicherlich nicht so einfach, das machst Du nicht mit einem Fingerschnipp. Ich stelle mal eine ganz andere Frage: Was sollte ich Dich fragen, was ich noch nicht gefragt habe in diesem Kontext?
Katja Moritz:
Das ist auch eine spannende Frage. Grundsätzlich haben wir gerade ja schon etwas über die Informationsaufnahme besprochen. Da ist aber natürlich auch wichtig, dass wir einordnen können, was mache ich jetzt mit diesen Informationen? Und da wäre vielleicht noch spannend zu erwähnen, dass es bestimmte Effekte gibt, die helfen, Sachen in Relationen zu setzen. Da könnte ich als Beispiel den Anker-Effekt anführen. Kennst Du den?
Joubin Rahimi:
Ähm, nee.
Katja Moritz:
Ich habe tatsächlich die letzten Tage noch darüber nachgedacht, da ist mir ein Beispiel aus dem Alltag aufgefallen. Ich habe mich mit einer Freundin über Ohrlöcher unterhalten. Sie hat sich ein neues Ohrloch stechen lassen, und ich habe sie gefragt, was kostet das denn? Weil ich mir das auch mal überlegt hatte. Und dann sagte sie, das war supergünstig, das kostet nur 39 Euro. Und im ersten Moment war ich total irritiert, weil mein Ankerpunkt, also das, was ich dafür als normal angesehen habe, zwar schon 15 Jahre alt ist, aber ich habe irgendwann mal sieben Euro dafür bezahlt. Das heißt, auch wenn ich weiß, das ist rational wahrscheinlich nicht mehr der reale Wert dafür, war das der Wert, an dem ich das festgemacht habe. Und daher habe ich im ersten Moment diese 39 Euro als sehr teuer empfunden.
Joubin Rahimi:
Mein Schachmatt-Beispiel! (lacht)
Katja Moritz:
Genau. Und so kann es dann auch sein, dass andere diese 39 Euro als sehr günstig empfinden, weil sie vielleicht Ohrlöcher haben, die 95 Euro gekostet haben. Man setzt quasi einen Anker für sich und bewegt sich nicht weit von diesem Anker weg. Wie ein Schiff, wenn es den Anker auswirft, dann bewegt es sich in einem gewissen Radius. Aber um diesen Radius zu erweitern, ist eben sehr viel Aufwand nötig.
Joubin Rahimi:
Das ist dann das Framing, von dem Du auch mal gesprochen hast – das in einen anderen Rahmen zu setzen als Ohrloch stechen, nee, nee, wir müssen eine kleine OP machen oder so etwas in der Richtung.
Katja Moritz:
Genau. Und da gibt es eben sehr viele Prinzipien, die diese Informationsaufnahme und -verarbeitung beeinflussen und unterstützen können. Und die wirken aber auch nicht isoliert, das heißt, sie sind meistens irgendwie miteinander verwoben, die greifen ineinander, ergänzen sich. Diese Prinzipien kann sich quasi jeder Shop-Anbieter auch selbst zunutze machen.
Joubin Rahimi:
Super, dann würde ich sagen, macht es Euch zunutze, stellt Fragen unten in die Kommentare rein oder als Direct Message an uns. Wir freuen uns, die zu beantworten! Danke Dir, Katja.